Immersive Lernräume – ein Quantensprung in Schule, Aus- und Weiterbildung?

Geschrieben am
28.8.2023
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Auf einen Blick
  • Der Begriff des immersiven Lernens wurde bereits 2003 vom MIT (Massachusetts Institute of Technology) ins Leben gerufen und beschreibt eine hochgradig interaktive, realitätsnahe Lernmethode. Immersives Lernen ist eindringlich, involvierend und fesselnd. Die aktuelle Studienlage belegt deutlich größere und nachhaltigere Lernerfolge.
  • Durch die Etablierung des Spatial Computing ist die Verknüpfung physischer Räume, virtueller Räume und Nutzerinteraktion zunehmend verbreitet. Zur Umsetzung werden dabei VR-, AR- und MR-Brillen i.V.m. komplexer Software, Hardware und Netzwerktechnik eingesetzt.
  • Der Einsatz von Brillen stößt an Grenzen. Das Gewicht (durchschnittlich ca. 500 g) begrenzt die Nutzungsdauer durch die Lernenden auf eine Zeit zwischen 10 Minuten und 2 Stunden. Weiterhin wird die Interaktion zwischen den Lernenden eingeschränkt, da Mimik, Blickkontakt etc. bedingt durch die Brillen, nicht stattfinden.
  • Die Herausforderung im Bereich Education/Higher Education ist die Schaffung lehrplankonformer Contents ebenso wie die Anpassung pädagogischer und didaktischer Konzepte. Hierzu ist ein hohes Maß an interdisziplinärer Zusammenarbeit erforderlich.
  • Immersive Lernräume, in denen mit Hilfe von Projektionen auf Wände, Böden und Decken, 3-dimensionale virtuelle Räume erzeugt werden, heben diese Grenzen auf. In einigen europäischen Ländern werden solche Räume im Bereich Education und Higher Education bereits eingesetzt: Spanien, Großbritannien, Norwegen und Italien.
  • Das kommende Zeitalter der Datenverarbeitung und des Kompetenzerwerbs wird räumlich sein.  
  • Die Umsetzung immersiver Lernräume ist technisch aufwändig und teuer. Eine Idee der Umsetzung sind sog. Lernhubs innerhalb von Kommunen (analog z.B. Hallenbad), Schulen Gemeindezentren etc. Diese Lernhubs können sowohl physisch als auch virtuell besucht werden oder eine Kombination aus beiden.

Sehen Sie hier die Keynote von Frau Dr. Sarah Henkelmann-Hillebrand zu immersivem Lernen

Anlässlich der Vorstellung unseres Rebrands durften wir Frau Dr. Sarah Henkelmann als Keynote-Speakerin begrüßen:

Dr. Sarah Henkelmann-Hillebrand ist Keynote-Speakerin, Autorin und gefragte Gutachterin für digitale Bildung. Sie ermutigt Akteure in Schule, Politik und Verwaltung, das Thema Digitale Bildung optimistisch anzugehen und sich gegenüber innovativen pädagogischen Konzepten zu öffnen. Frau Dr. Henkelmann war Mitbegründerin des Netzwerks Digitale Bildung und fungierte etliche Jahre als Sprecherin des Netzwerks. Heute ist sie Market Development Manager für Europa bei Epson und bewertet Bildungstrends der europäischen Länder. Sie sagt, „In der nahen Zukunft werden digitale Bildung und Nachhaltigkeit in der IT Hand in Hand gehen. Darauf können wir alle uns heute schon vorbereiten“.

Was versteht man unter immersivem Lernen?

Der Begriff 'immersives Lernen' wurde bereits 2003 vom Massachusetts Institute of Technology geprägt. Dabei beschreibt der Begriff ein pädagogisches Umfeld, das darauf abzielt, den Lernenden in eine interaktive und immersive – im Sinne von eindringlich, involvierend, fesselnd – Umgebung einzubinden. Der Lernende wird im Kompetenzaufbau durch Interaktion, selbstständiges Handeln und das Eintauchen in eine interaktive Lernumgebung unterstützt. Die aktuelle Studienlage belegt eindeutig weitaus größere und nachhaltigere Lernerfolge.  

Zur Umsetzung des immersiven Lernens kommen digitale Technologien wie Virtual Reality (VR) oder Augmented Realitiy (AR) zum Einsatz. Die Begriffe beschreiben den unterschiedlichen Grad des Realen bzw. Digitalen. Während VR die Realität komplett zugunsten des Digitalen ausblendet, erweitert AR die Realität durch unterschiedliche digitale Elemente. Zur Umsetzung werden heutzutage VR-Brillen, AR-Brillen oder MR (Mixed Reality) Brillen in Verbindung mit entsprechender software eingesetzt. Die Durchschlagskraft und Popularität immersiver Technologien hat in der letzten Dekade durch zunehmend massentaugliche VR-Produkte von Unternehmen wie HTC, Oculus, Microsoft, Google deutlich gewonnen. Die Vervielfachung der Leistung von Prozessoren, Grafikkarten, Displays etc. tun ihr Übriges.

Einsatz und Möglichkeiten immersiven Lernens

Überall dort, wo es um die Informationsübermittlung, verbunden mit dem gleichzeitigen Aufbau handlungsorientierter Kompetenzen zur Erlangung eines nachhaltigen, abrufbaren Wissensschatzes geht, ist immersives Lernen heutzutage das Mittel der Wahl. Das 4-K-Modell, das durch die OECD propagiert wird, beschreibt die Schlüsselkompetenzen Kollaboration, Kommunikation, Kreativität und kritisches Denken, als die Herausforderung für Lernende im 21. Jahrhundert.  

Die Relevanz immersiven Lernens betrifft somit alle Bereiche der Aus- und Weiterbildung in Schule, Gewerbe, Industrie, öffentlicher Hand und gemeinnützigen Diensten. Die Fülle der Einsatzmöglichkeiten ist schier unbegrenzt. So können mit Hilfe von VR komplexe Verkaufsprozesse, Situationen und Interaktionen unterstützt werden, die praxisnahe Darstellung von Maschinen und Anlagen oder im Medizinbereich das Lernen operativer Eingriffe simuliert werden. Teams können sich in virtuellen Räumen treffen, um dort gemeinsam Lernprozesse zu durchlaufen und im Sinne des Wortes zu „erfahren“. Nahezu alle Branchen und alle gesellschaftlichen Bereiche profitieren von den Möglichkeiten immersiven Lernens.  

Gerade im schulischen Bereich können immersive Lernumgebungen einen immensen Mehrwert schaffen. Das betrifft sowohl den handlungs- und erfahrungsbasierten Wissensaufbau und darüber hinaus auch die soziale Teilhabe an diesem Wissensaufbau für alle. Es gibt Kinder und Jugendliche, die noch nie am Meer oder in den Bergen waren. Mittels virtueller Reisen durch den menschlichen Körper, durch Ökosysteme wie Meer, Wald oder Sonnensystem, Expeditionen an alle Plätze der Welt, in unterschiedliche Epochen kann Wissensvermittlung in Form von Erfahrung statt lediglich Informationsübermittlung im klassischen Sinne geschehen. Inhalte werden plötzlich erlebbar, räumliche, zeitliche und sprachliche Barrieren sind aufgehoben.

Wir leben im Zeitalter des „immersive spatial computing“, das physischen und virtuellen Raum, sowie die Nutzerinteraktion nahezu vollständig miteinander verschmelzen lässt. Die Nutzung dieser Möglichkeiten ist, angesichts des überproportional steigenden weltweiten Wissenszuwachses und der wachsenden Herausforderungen, praktisch alternativlos. Das heutige Zeitalter der Datenverarbeitung und des Kompetenzerwerbs ist räumlich.

Grenzen des immersiven Lernens

Der Einsatz von VR-/ AR-Brillen stößt allerdings aus mehreren Gründen an Grenzen. Aufgrund des Gewichtes der Brillen (im Durchschnitt ca. 500 g) haben manche Lernende bereits nach ca. 10-15 Minuten Probleme beim Tragen der Brillen. Sofern man Brillen im Bereich Education – also schulischer Bildung – einsetzt, empfehlen Augenärzte diesen Einsatz erst für Kinder ab 12 Jahren. Dafür gibt es gute Gründe: Kinderaugen und Gehirn müssen das räumliche Sehen erst lernen. Außerdem begünstigen die reale Nähe des Displays und der Mangel an Tageslicht die Kurzsichtigkeit. Darüber hinaus können Probleme, wie Kopfschmerzen, unscharfe Bilder oder Doppelbilder und ähnliches, auftreten.

Weiterhin wird die Interaktion zwischen den Lernenden durch die Brille stark eingeschränkt, da Mimik, Blickkontakt usw. nicht oder nur sehr eingeschränkt stattfinden.

Um die Möglichkeiten immersiven Lernens auszuschöpfen, müsste sich ein Paradigmenwechsel in der Lerntheorie vollziehen. So herrscht heute in der angewandten Didaktik in Klassen- und Seminarräumen immer noch eine ausgesprochen reaktive Rolle des Lernenden vor, der diesem wenig freie Verantwortungs- und Handlungsspielräume lässt. Zur Hebung des Potenzials immersiver Lernmethoden ist ein grundsätzlicher Haltungswechsel erforderlich. Lernende müssen Erwartungen an den Lehrer oder Trainer durch Eigenverantwortung und selbst gesteuertes Handeln ersetzen. Behavioristische – also lehrerzentrierte – Lehr- und Lernmodelle sollten zugunsten konstruktivistischer Modelle, die den Lernenden in den Mittelpunkt stellen, in den Hintergrund treten.  

Firmen und Konzerne lassen sich für ihre eigenen Fort- und Ausbildungsprogramme spezifische, teilweise sehr kostenaufwändige Inhalte für immersives Lernen erstellen, die exakt auf das zu lehrende Thema zugeschnitten sind. Im allgemeinbildenden Bereich der Schule und Hochschule existieren aktuell wenige bis gar keine Inhalte. Neben der Anpassung pädagogischer und didaktischer Konzepte, ist demzufolge die Erstellung lehrplankonformer Inhalte von Nöten. Aufgrund der kostenintensiven Erstellung solcher Inhalte, sollte hier einerseits eine Angleichung der Lehrplaninhalte durch die Kultusministerkonferenz erfolgen und darüber hinaus wäre eine hochgradige interdisziplinäre - also nicht rein fächerbezogene – Kooperation bei der Erstellung dieser Contents vorteilhaft.

Immersive Lernräume – ein Quantensprung in Schule, Aus- und Weiterbildung?

Während sich immersive Lerntechniken aufgrund der zunehmend verfügbaren VR-/ AR-Brillen per se verbreiten, ist die Idee des immersiven Lernraumes eher noch die Ausnahme. Allerdings könnte man zumindest die physiologischen Grenzen, die diese Brillen setzen, mit diesen Lernräumen aufbrechen. Immersive Lernräume, in denen mit Hilfe von Projektionen auf Wände, Böden und Decken 3-dimensionale, virtuelle Räume erzeugt werden, heben diese Grenzen auf. Brillen jeglicher Art sind hier nicht erforderlich.

Einige europäische Länder, wie Spanien, Italien, Norwegen und Großbritannien setzen bereits auf immersive Lernräume in ihren Schulsystemen. In Italien – das hier die Vorreiterrolle einnimmt – werden bereits Mittel zur Verfügung gestellt, die es jeder Schule ermöglichen sollen, einen immersiven Lernraum zur Verfügung zu stellen.  

Albert Einstein sagte einmal "Lernen ist Erfahrung, alles andere nur Information". Immersive Lernräume sind bestens geeignet, um aus Wissen Kompetenz erwachsen zu lassen. Der Kompetenzerwerb erfolgt immer im direkten Zusammenhang mit unterschiedlichen Handlungsalternativen und ist darüber hinaus unmittelbar interaktiv. Wissensvermittlung und das Erleben individueller Fähigkeiten gehen Hand in Hand und generieren beim Lernenden eine unmittelbare Erfahrung. Durch die Möglichkeit der Interaktion mit der visuellen und auditiven Lernwelt bekommen Lernende ein direktes, unmittelbares Feedback. Durch dieses unmittelbare Erleben verschiedener Situationen, das Abspeichern der jeweiligen Handlungen und das erhaltene Feedback, wird dem Lernenden die Möglichkeit gegeben, einen Prozess ganzheitlich abzuspeichern. Diese Prozesse können jederzeit wiederholt oder um zusätzliche Elemente ergänzt werden. Das gibt dem Lernenden Sicherheit, ebenso wie eine hohe Akzeptanz und Erinnerungsquote.  

Anwender müssen sich nicht mehr mit Schnittstellen, wie Maus, Tastatur etc., auseinandersetzen, sondern interagieren direkt und intuitiv mit den umgebenden Systemen und Objekten.

Hinzu kommt, dass diese Art des Wissensaufbaus auch eine soziale Teilhabe aller Lernenden bedeutet, etwa wenn ein „Erlebnis Strand und Meer“ oder „Ökosystem Alpen“ generiert wird. Im Zuge der immer wieder propagierten Chancengleichheit im Bildungssystem ein wesentlicher Faktor.

immersive van Gough painting

Immersive Lernräume sind technisch aufwändig und teuer – Lernhubs als mögliche Lösung

Aufgrund riesiger Fortschritte in der Computer- und Netzwerktechnik in Verbindung mit KI und des machine learning ist es heute technisch möglich, solche immersiven Lernräume umzusetzen. Komponenten, wie Cloud Computing, 5G-Mobilfunk, Sensorik, hochauflösende Kameras, Smartphones, Holographie, immersive Audiotechniken und andere, kommen ebenso zum Einsatz, wie hochwertige Projektionstechnologien. Hierzu ist es erforderlich, dass unterschiedliche technologische Disziplinen mit absolutem Expertenwissen kooperieren. Es liegt auf der Hand, dass die Umsetzung immersiver Lernräume mit vergleichbar hohen Kosten verbunden ist. Durch die Einrichtung sog. Lernhubs könnte man die Nutzung immersiver Lernräume neben den Bildungseinrichtungen auch breiteren gesellschaftlichen Schichten – wie Feuerwehren, Pflegeeinrichtungen, u.v.m. – zugutekommen lassen.

In Anlehnung an z.B. Hallenbäder, Sportstätten usw. in Kommunen, die sowohl Schulen als auch Vereinen und anderen Institutionen zur Verfügung stehen, könnte man die Kosten auf mehrere gesellschaftliche Gruppen verteilen und somit einer schnelleren Amortisation zuführen.  Die Standorte dieser Lernhubs könnten Gemeindezentren, Schulen, auch Unternehmen oder kommunale Einrichtungen sein. Diese können sowohl physisch als auch virtuell besucht werden.  

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